Bangkok: Gedenken mit Bastmatte und Barbecue

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Sonntag, 19. Mai 2013 in Bangkok. Für uns ein Tag wie jeder andere. Wir sind auf dem Weg zum Europäischen-Filmfestival als wir in eine Groß-Demonstration geraten. Die Wege der Skytrain, die sich wie lange Open-Air Korridore auf Stelzen durch die Stadt ziehen, sind voll mit Menschen in roten T-Shirts und mit roten Basecaps auf dem Kopf. Sie schlafen auf Bastmatten, oder veranstalten ein Picknick während die Kinder zwischen den Erwachsenen herum springen. Die Skytrain-Fahrgäste bahnen sich ihren Weg über schlafende Menschen hinweg, oder drücken sich an ihnen vorbei. Unter uns auf den Straßen laufen noch mehr Menschen mit roten T-Shirts, manche von ihnen schwenken rote Fahnen und tragen lärmende Rasseln, während in einer Seitenstraße ein schwarzer Block aus Polizisten in Reih und Glied steht und den Ausführungen des Vorgesetzen folgt.

Die Korridore, von denen üblicherweise links und rechts Eingänge zu den Shoppingmalls abzweigen, führen uns auch an den Ort des Europäischen-Filmfestivals in der Central World Shoppingmall. Wir stehen jedoch vor einem heruntergelassenen Rolltor: „Aus Sicherheitsgründen geschlossen“, heißt es. Und das was wir als etwas übertrieben abtun, erklärt sich uns später noch eindrücklich. Wir blicken überrascht auf die Ratchaprasong Kreuzung, die plötzlich vor uns liegt wie ein rotes Meer aus zehntausenden Demonstranten.

Auf der Straße entlang der Skytrain-Linie entstand über Nacht ein Markt an deren Ständen mariniertes Hühnchenfleisch vom Grill, Nudelsuppen und frisches Obst verkauft wird. Gegessen wird an roten Tischen mit kleinen Plastikhockern, die überraschenderweise nicht rot sind. Dafür liegen rote Fahnen, rote Cowboy-Hüte, T-Shirts und Tücher, blinkende rote Herzen und Che Guevara Buttons auf den roten Tischdecken der Souvenirstände. Dazwischen finden sich auch immer wieder Schlaflager mit mobilen Moskitonetzen in Regenbogenfarben. Etwas weiter die Straße hinunter tanzen Frauen vor einer leeren Bühne. Mit großen Sonnenbrillen auf den Nasen und bunten Hüten mit pinkfarbenem und gelbem Kunsthaar auf dem Kopf bewegen sie sich ausgelassen zur Musik aus den Lautsprechern.

Wir wippen mit und machen Fotos, lassen uns anstecken von der Ausgelassenheit und den heiteren musikalischen Klängen bis uns die Poster hinter den Frauen auffallen und wir aufhören zu tanzen. Sie zeigen erschossene Demonstranten mit blutenden Kopf- und Fleischwunden, manche nur notdürftig mit derselben Art von Bastmatten bedeckt, auf denen sich heute die Demonstranten ausruhen und picknicken.

Die Fotos legen sich in Hüfthöhe wie ein Schal um die Bühne. Ein Mann mit wettergegerbtem Gesicht und sonnengebräunter Haut tanzt an uns vorbei. Auf seinem rotem T-Shirt steht: „Truth Today“.

Erst jetzt wird uns klar wo wir hineingeraten sind und das heute der 19. Mai sein muss. Viele Demonstranten sind aus den Provinzen nach Bangkok gekommen, um dem dritten Jahrestag der politischen Gewalt an der Ratchaprasong Kreuzung beizuwohnen. Sie sind Anhänger der „Geeinten Front für Demokratie und gegen die Diktatur“ (UDD), auch bekannt als “red shirts”. Drei Monate dauerten die Demonstrationen 2010 in denen die „red shirts“ Premier Minister Abhisit Vejjajiva zum Rücktritt und zur Auflösung des Parlaments aufforderten so wie zu Neuwahlen aufriefen. 90 Todesopfer, darunter Zivilisten und Polizeikräfte waren zu beklagen. Die Demonstrationen fanden ihren traurigen Höhepunkt am 19. Mai 2010 als die Armee damit begann die Kontrolle über einige Gebiete, darunter auch die Ratchaprasong Kreuzung, zurück zu erlangen.

„Wat Pathum Wanaram“, ein Tempel zwischen der Paragon- und Central World Shoppingmall, galt als sichere Zone und so fanden dort am 19. Mai 2010 die Demonstranten, darunter Familien mit kleinen Kindern, zuflucht. Wir besuchten vor wenigen Tagen diesen Tempel, der zu allen Seiten von glitzernden Shoppingmalls, den Konsum-Tempeln, bedrängt wird, ohne zu ahnen welche Rolle Wat Pathum Wanaram vor drei Jahren spielte. Das genau hier das Protest-Zentrum war, in diesem Teil der Stadt, in dem wir seit einem Monat wohnen. Friedlich war es hinter den Tempelmauern, wir konnten uns im Schatten ausruhen und den Lärm der Straße fast vergessen. Am 19. Mai 2010 drängten sich hier 2000 Menschen und hörten die ganze Nacht hindurch Schüsse. Beißende Rauchschwaden zogen durch die Luft, weil Autos brannten, so wie die historischen Siam und Scala Kinos, in denen auch wir schon Filme gesehen haben. Demonstranten setzten die Central-World Shoppingmall in Brand, eine der größten Shoppingmalls in Südostasien, die auch am heutigen Gedenktag noch Anschläge befürchtet und vorsorglich geschlossen hat, allen Einnahmeverlusten und Filmfestivals zum Trotz. Ärzte wurden laut Human Rights Watch nicht in den Tempel gelassen um die Verletzen zu versorgen. Fünf Demonstranten starben an ihren Schussverletzungen und auch dieses Foto findet sich als Poster an der Bühne vor dem die Frauen tanzen.

Wir kaufen uns eine Tageszeitung. 100.000 „red shirt“ Teilnehmer werden heute erwartet und Thaksin Shinawatra wird am Abend aus dem französischen Exil zu seinen Anhängern sprechen. Nach dem Abendessen machen wir uns wieder auf den Weg zur Ratchaprasong Kreuzung. Vor Wat Pathum Wanaram breitet sich nun ein Rosen-Meer aus und Blumenkränze erinnern an die Opfer des 19. Mai 2010. Die „Markt Straße“ ist fast leer, weil sich nun alle auf der Ratchaprasong Kreuzung eingefunden haben, um der Ansprache von Thaksin Shinawatra zuzuhören. 100.000 Teilnehmer sind es wohl nicht, die sich am 19. Mai 2013 hier versammelt haben, aber beeindruckend viele erinnern an einen der schwärzesten Tage in der jungen Geschichte Thailands.